
Die Stadt Chojniki im Oblast Gomel liegt 60 km nördlich vom Tschernobyl-Reaktor. Nach der Nuklearkatastrophe wurde südlich der Stadt ein 216.000 Hektar großes Radioökologisches Schutzgebiet eingerichtet, was an die ukrainische Sperrzone von Tschernobyl angrenzt. Betreten darf man das Schutzgebiet nur mit Sondergenehmigung.
Heute werden wir die Tschernobyl-Ausstellung im Historischen Museum Chashnik in Chojniki besuchen. In dem der Tschernobyl-Katastrophe gewidmeten Saal sind Original-Objekte und Dokumente als Zeitzeugnisse ausgestellt. Dienstuniformen, die die sogenannten Liquidatoren (Ersthelfer) während der Einsätze am Reaktor tragen mussten, zeugen davon, wie unzureichend der Schutz für die Einsatzkräfte gegen die Strahlenbelastung war. Niemand war auf diese Havarie und deren Ausmaß vorbereitet. Fotos von Liquidatoren aus dem Chojniki-Gebiet würdigen deren Einsatz, den sie mit dem Leben bezahlten. Denn sie verstarben innerhalb eines Monats an der akuten Strahlenkrankheit.
Daneben steht der Schreibtisch des Kreisexekutivkommitte-Leiters, der die Umsiedlung bzw. Evakuierung der am stärksten verstrahlen Gebiete befahl, noch bevor von Moskau ein solcher Befehl kam.
Fotos zeigen anschaulich, wie man versuchte Häuser und Straßen vom radioaktiven Niederschlag zu reinigen. In Bus-Kolonnen und Zügen wurden die Menschen aus den verstrahlten Dörfern in andere Gebiete des Landes gebracht.
Ehrenamtlerin Swetlana erinnert sich, dass sie damals als Kind mit einem solchen Zug evakuiert und nach Lettland gebracht wurde und dort mehrere Monate verbrachte. Kinder von ihren Eltern getrennt, oftmals ohne zu wissen, wo sich der/die jeweils andere befand.
Man schickte Ärzte-Teams zur Behandlung der Erkrankten in die Gebiete. Wissenschaftler und Atomphysiker reisten an, um bei der Beseitigung der Havarie-Folgen zu helfen. In der Ausstellung befindet sich auch ein wissenschaftliches Dokument von Physiker Prof. Wassilij Nesterenko (https://de.wikipedia.org/wiki/Wassil_Neszjarenka), der als Experte unmittelbar zu Einsätzen an den Reaktor geschickt wurde und in den 1990er Jahren das Unabhängige Strahleninstitut Belrad gründete (https://www.belrad-institute.org/En/doku.php?id=vasily_borissovich_nesterenko).
Insgesamt wurden alleine im Chojniki-Gebiet 51 Dörfer als nicht mehr bewohnbar erklärt. Hiervon wurden 26 Dörfer abgetragen und begraben. Die restlichen Dörfer stehen seit Tschernobyl verlassen und sind der Natur preisgegeben. Besonders schlimm waren die Umsiedelungen für die älteren Menschen. Nur mit kleinstem Gepäck mussten sie ihre Heimat verlassen und konnten den Verlust niemals verwinden. Tatsächlich sind vereinzelt Ältere wieder zurückgekommen und leben in diesen verlassenen Dörfern.
In der Ausstellung stehen die Namen der unbewohnbaren Dörfer auf an der Saaldecke angebrachten Schilder. Hierdurch wird uns als Besuchern das Ausmaß der Tschernobyl-Katastrophe für diese Region deutlich.
Der Kreis Chojniki steht für viele weitere Kreise und Regionen in Belarus, denn 70 Prozent des radioaktiven Fallouts gingen seinerzeit auf dem Territorium von Belarus nieder.
Buchtipp: „Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft“ (v. Swetlana Alesijewitsch) „Der Radfahrer von Tschernobyl“ (v. Javier Sebastián Luengo) „Baba Dujas letzte Liebe“ (v. Alina Bronsky)
„Die vergessenden Helden von Tschernobyl“ (v. Udo Fehring)
Filmtipp: „Chernobyl“ (1 Staffel / 2019 / HBO)
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