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Reise in den Oblast Gomel


Heute unternehmen Maria und ich eine längere Zugfahrt. Wir reisen in den Oblast Gomel, welcher wie Mogiljow zu den von Tschernobyl stark kontaminierten Gebieten gehört und im Süden der Republik liegt. Unser Ziel ist die Agarstadt Kalinkawitschy, in der auch Maria bisher noch nicht gewesen ist. Wir besuchen dort unsere neuen Projektpartner der Schule Selenochskaya.

Wir starten vom Bahnhof Mogiljow, dessen Bahnhofsgebäude wunderschön anzusehen ist. Aber es handelt sich ja auch um den Bahnhof der Gebietshauptstadt. Ein eiserner Bahnhofsvorsteher am Hauptportal begrüßt die Reisenden und wie nehmen den Übergang quer über die verschiedenen Gleisbette. An den Bahnsteigen stehen kaum Menschen und vor unserem Zug warten dienstbeflissen und mit ernster Miene eine Schaffnerin und ihr Kollege.

Wir vergewissern uns noch einmal, ob dies der richtige Zug zum Umsteigebahnhof Zhlobin ist und erklimmen die Zugstufen. Diese sind relativ steil, die erste Stufe ziemlich hoch und man muss aufpassen, wo man die Füße hinsetzt. Die Großraumabteile sind gut gefüllt und wir lassen die schneebedeckten Landschaften an uns vorbeiziehen.

Am Umsteigebahnhof Zhlobin angekommen fallen mir direkt zwei Milizionäre auf, die mit vor der Brust gekreuzten Gewehren den Bahnhof bewachen. Maria bestätigt, dass das Bewachen der Bahnsteige durch die bewaffnete Polizei üblich ist. Hier ist das Bahnhofsgebäude nicht ganz so eindrucksvoll wie in Mogiljow, jedoch thront vor dem Bahnhofsgebäude die Statue von Lenin. Wir haben noch etwas Zeit und trinken in Bahnhofsnähe einen Kaffee. Dann besteigen wir den Zug Richtung Kalinkawitschy. Durch unser Großraumabteil laufen regelmäßig zwei Fahrkartenverkäuferinnen, bei denen Neuzugestiegene ihre Tickets erwerben können. Zudem kontrollieren fortwährend im Zweierteam Schaffnerin und Schaffner in ihren schönen blau-grauen Uniformen mit Fellmütze und Uniformstiefeln Abteil um Abteil, ob die Reisenden gültige Tickets besitzen. An Personal mangelt es hier wirklich nicht. Auch an den kleinen Haltestellen, die wir auf unserer Reise passieren, stehen dienstbereite Bahnangestellte.

Nach insgesamt 4,5-stündiger Reise kommen wir in Kalinkawitschy an. Die Stadt ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in sämtliche Richtungen der Republik.

Für Maria und mich ist ein Hotelzimmer im Stadtzentrum gebucht, das wir gemeinsam beziehen. Bis zum Abendessen nutzen wir die Zeit, um ein bisschen die Stadt zu erkunden. Kalinkawitschy ist eine mittelgroße Stadt von knapp 37.000 Einwohnern. Die Grenze zur Ukraine liegt 70 km entfernt und bis zum Tschernobylreaktor sind es nur 90 km.

Wir schlendern ein wenig durch die Stadt, in der sich Holzhäuser, Ziegelhäuser, kleine Mehrfamilienhäuser und auch die typischen Plattenbauten abwechseln. Wir begegnen wieder einer imposanten Lenin-Statue und passieren ein Kulturzentrum mit kunstvoller Fassade.

An einer Straßenkreuzung weckt ein 3-stöckiges Kaufhaus mein Interesse, denn es verfügt über keinerlei Warenausstellung in den Schaufenstern. Vielmehr sind alle Fenster mit blickdichten Lamellenvorhängen versehen. Beim Betreten des Kaufhauses fühle ich mich um einige Jahrzehnte zurückversetzt, denn die Präsentation der Waren mutet nostalgisch an und wie aus der Zeit gefallen. Über die Etagen verteilt findet man Güter unterschiedlichster Warengruppen. Kundschaft ist aktuell eher spärlich zu sehen, dafür umso mehr fleißige Mitarbeiterinnen. Wir schlendern durch die verschiedenen Abteilungen. Hier gibt es eigentlich alles, was das Herz begehrt.

Über das Treppenhaus gelangen wir in die Bekleidungsabteilung und Maria zeigt mir, was im Kleiderschrank von Seniorinnen auf keinen Fall fehlen darf: die obligatorische bunte Kittelschürze bei der Hausarbeit und die voluminöse Ballonmütze für Spaziergänge.

Wir drehen weiter unserer Runde durch die Stadt und kommen an einem großen Stadtpark vorbei, den Familien gerne besuchen zum Verweilen und wo die Kinder auf verschiedenen Spielgeräten turnen können. Wir genießen die Abendsonne, die uns ein bisschen erwärmt bei den sonst vorherrschenden eisigen Temperaturen.

In der Nähe unseres Hotels liegt ein Kindergarten, augenscheinlich ein Gebäude aus den 50er Jahren mit bunten und frischen Farben. Auf dem großen Außengelände stehen Klettergerüste und Karussells aus Metall und erinnern mich an Spielgeräte aus meiner Kindheit. Wir passieren einen Wohnblock mit Garagenzeile, eine streunende Katze läuft uns in der Hoffnung auf Futter entgegen und auf der Wäscheleine vor einem Haus hängt ein Bekleidungsensemble. Die Stadt strahlt einen beschaulichen Charme aus. Das Leben erscheint hier weniger hektisch als in der Großstadt Mogiljow.

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